Interview von Étienne Schneider im Forum

"Die Unternehmen kommen einfach"

Interview : Forum

Forum: Herr Schneider, haben Sie in Ihrer Kindheit davon geträumt, auf den Mond zu fliegen? 

Étienne Schneider: Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Das einzige was ich mir im Fernsehen und Kino angeschaut habe, war Goldorak und Raumschiff Enterprise. 

Forum: Immerhin. 

Étienne Schneider: Aber geträumt davon, selber ins All zu kommen, habe ich eigentlich nie. (lacht)

Forum: Haben Sie ein Thema gesucht, das Ihnen erlaubt, mit den Großen der Welt an einem Tisch zu sitzen? 

Étienne Schneider: Nein, nicht einmal das. Bevor ich Minister wurde, war ich ja lange hier in diesem Haus schon aktiv als Generaldirektor und bei allem, was wir in der Diversifikationspolitik gemacht haben, hatten wir kein oder zumindest fast kein Alleinstellungsmerkmal. Der Finanzplatz war in dieser Hinsicht, glaube ich, der letzte große Coup, der uns in den 70er Jahren gelungen ist. Wir haben uns in vielen Domänen wacker geschlagen, andere sind nicht so richtig angelaufen oder kommen nicht richtig in die Gänge. Wenn ich mir zum Beispiel den Bereich Bio-Health anschaue, haben wir zwar nette Resultate, aber es ist nichts, womit wir Geld verdienen, wenn ich das jetzt makroökonomisch als Staat betrachte. 

Forum: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen Ihrer Space Ressources-Initiative und der Initiative Ihres Vorgängers Jeannot Krecké im Bio-Health-Bereich? Damals wurden 140 Millionen Euro Startkapital auf den Tisch gelegt mit Folgekosten im zweistelligen Millionenbereich. 

Étienne Schneider: Also ich würde zunächst einmal sagen, dass Space Ressources bislang billiger war. Bis heute haben wir etwa 25 Millionen Euro ausgegeben und zwar haben wir in Firmen investiert, von denen wir uns irgendwann sogar eine Dividende erhoffen. Davon abgesehen, versucht jedes Land in der Europäischen Union und darüber hinaus auf die Karte Biomedizin zu setzen und im Bereich der personalisierten Medizin Fortschritte zu machen. Es ist ein Feld, das von den Großen dieser Welt schon besetzt ist. Und eben das ist der große Unterschied zum Thema Space Resources.  Dieses Thema ist nicht besetzt. 

Forum: Wie ist die Idee entstanden? 

Étienne Schneider: Als ich 2012 Minister wurde, war einer der ersten Besucher, die ich hier im Büro empfangen durfte, der damalige Chef des „Ames Research Center" der NASA, Pete Worden, mit dem ich eine allgemeine Diskussion geführt habe, bis wir auf die Frage gestoßen sind, was alles im Weltall kommerziell möglich ist. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bei seinen Erklärungen zunächst dachte: „Was hat dieser Typ geraucht?". Für mich war das damals komplettes „Science fiction", aber Pete Worden war seriös und hatte eine Stelle an der Spitze der NASA... Ich habe auf seine Vermittlung hin danach eine ganze Reihe von Leuten kennengelernt und mir wurde klar, dass es sich um einen Bereich handelt, der international noch nicht besetzt ist, dass es kein Land gibt, das dieses Geschäftsfeld strukturiert in Angriff nimmt und eine reelle Strategie hat, das Weltall nicht nur als Erkundungs- sondern auch als Ausbeutungsobjekt zu begreifen. 

Forum: Das heißt China, Indien und Russland haben keine kommerzielle Strategie? 

Étienne Schneider: Nein. Ich dachte mir, dass die kommerzielle Nutzung des Weltalls zwar eine große Nummer ist, aber bei der SES hatten wir schon einmal gezeigt, wie man so etwas machen kann. Ich habe die Initiative dann nicht von heute auf morgen entschieden, sondern mich viel informiert und viele internationale Konferenzen zum Thema besucht, bis wir vor knapp zwei Jahren die Entscheidung getroffen haben: „Das machen wir!". 

Forum: Gab es einen ausschlaggebenden Moment? 

Étienne Schneider: Nein. Irgendwann waren wir bereit, das Gesetz in Angriff zu nehmen. Nachdem wir mit zahlreichen Experten weltweit gesprochen hatten, ob dieses Gesetz in Einklang mit den Konventionen der Vereinten Nationen und dem internationalen Recht gebracht werden kann und nachdem wir ein exzellentes „Advisory Board" zusammen hatten. Hier konnte ich Pete Worden, jenen Direktor der NASA, der in der Zwischenzeit pensioniert ist, verpflichten, den früheren Direktor der ESA, Jean-Louis Schutz als Juristen und Georges Schmit, der unser Mann in San Francisco war und im Sillicon Valley eine Reihe guter Kontakte hatte. Zwischenzeitlich konnten wir auch noch die Direktoren der Weltraumagenturen von Südkorea und China hinzugewinnen. Das sind alles Leute, die an der Spitze der Entwicklung stehen und einschätzen können, was möglich ist. 

Forum: Luxemburg bietet jetzt einen juristischen Rahmen für die kommerzielle Weltraumnutzung, doch dieser Rahmen geht offenbar über das von der UN festgelegte Regelwerk hinaus, und auch die Juristen des Staatsrates waren sehr skeptisch. Wie ist Ihre juristische Argumentation? 

Étienne Schneider: Ich bin selber kein Jurist, aber ich habe mich von vielen Juristen in dieser Frage beraten lassen, und wenn ich es in einem Satz zusammenfassen müsste, dann wäre die Schlussfolgerung, dass die kommerzielle Nutzung und Aneignung von Gestein und Wasser auf Himmelskörpern zwar nicht offiziell erlaubt, aber eben auch nicht verboten ist durch den Weltraum-Vertrag der Vereinten Nationen. 1964, als dieser Vertrag formuliert wurde, hat sich kein Mensch vorstellen können, dass man irgendwann einmal kommerzielle Aktivitäten im Weltall unternehmen kann.
Es ging damals ja eigentlich nur um den Wettkampf zwischen der UDSSR und den USA und die Angst, dass diejenigen, die über die nötigen Technologien verfügen, sich den Weltraum komplett aneignen würden. Mit dem Satz „the space belongs to human kind" wurde ausgedrückt, dass niemand sich den Weltraum aneignen darf. 

Forum: Dieses „Aneignen" war ja nicht nur machtpolitisch sondern auch tatsächlich materiell gemeint. 

Étienne Schneider: Nein, das glaube ich nicht, weil seinerzeit niemand daran denken konnte, dass man mit diesen Steinbrocken irgend-etwas anfangen, geschweige denn, dass man sie überhaupt auf die Erde runterbringen könnte. Es gab keine Technologie, die einen auch nur im Entferntesten hätte glauben lassen können, dass man diese Steine nutzen könnte. Es ging lediglich darum, dass niemand sich den Mond territorial „aneignet" und Besitzansprüche stellt. 
Das Luxemburger Wort und RTL haben einen Juristen in Deutschland gefunden, der unseren Ansatz kritisiert hat. Seine Einwände, die sich zuerst sehr radikal anhörten, hat er später nuanciert. In Luxemburg wurde das dann aber hochgekocht. 
Übrigens typisch Luxemburg — wenn wir einmal einen internationalen Hype in allen Medien haben, gehen wir hin und versuchen drei Wochen lang, das Projekt schlechtzureden... 

Forum: Auch der Avis des Staatsrates hat Sie nicht verunsichert? 

Étienne Schneider: Nein. Woher denn? Wie soll der Staatsrat eine Ahnung haben? Ich kenne ja alle Leute, die dort sitzen. 

Forum: War das jetzt im Off oder ist das Teil des Interviews? 

Étienne Schneider: Nein, das war nicht im Off. Der Punkt ist, dass ich bereits vier Jahre dabei bin, mich intensiv mit dem Stoff auseinanderzusetzen, und der Staatsrat will in nur ein paar Monaten einen „Avis" schreiben, ohne je mit irgendeinem Experten gesprochen zu haben? Ich habe mit Leuten von der UNO gesprochen, mit der NASA, der ESA, den Japanern... Wir haben das mit Hunderten von Leuten besprochen, mit internationalen Unis, mit Experten im Weltraumrecht, um zu überprüfen, ob unser Gesetz konform ist. 
Mit dem Staatsrat haben wir letztlich einen Kompromiss gefunden, mit dem wir leben können, wobei es schade ist, dass wir eine Reihe von Punkten, die wir eigentlich etwas vage lassen wollten, nun reinschreiben mussten. Das bedeutet, dass wir jetzt — wenn sich Anpassungswünsche in die eine oder andere Richtung ergeben — über den umständlichen Weg einer Gesetzesänderung gehen müssen. Pour le reste, wie gesagt, kann ich mit dem Avis gut leben. 

Forum: Ziel der Space-Resources-Initiative ist es, als erstes Land außerhalb der USA einen juristischen Rahmen für kommerzielle Aktivitäten im Weltraum zu bieten. Danach sind Sie aber die Welt gereist, um andere Länder zu finden, die auf den gleichen Zug aufspringen sollen. Verliert Luxemburg auf diesem Wege nicht das Alleinstellungsmerkmal, von dem Sie vorhin gesprochen haben? 

Étienne Schneider: Tatsächlich ist das eine ganz große Nummer, die enorme Investitionen erfordert. Ich weiß also, dass ein Land alleine das nicht stemmen kann. Seit wir diese Sache gestartet haben, schaut die ganze Welt nun auf Luxemburg und redet über uns, und alle Staaten, die an dieser Sache interessiert sind, rufen uns an, um sich an dem Projekt zu beteiligen. Also will ich mich nicht dem Vorwurf aussetzen, dass das kleine Luxemburg wie ein Gauner behauptet: „So nun gehen wir ins Weltall und beanspruchen alles, was wir dort vorfinden, für uns". Es gibt eine Textstelle im „Space Act" der Vereinten Nationen, die besagt: „Everything in space belongs to human kind" und deshalb sage ich: „Lasst uns das respektieren und sagen, all jene, die wollen, sollen mitmachen". Wenn wir intelligent vorgehen und gleichgesinnte Staaten zusammenbringen und uns eine gemeinsame Strategie geben, wie wir dieses Projekt angehen, wie wir das umsetzen wollen und wer wofür in der Forschung zuständig sein soll, dann kommen wir viel schneller und viel billiger voran. Damit habe ich schon mal den ersten Punkt des „human kind-Kriteriums" erfüllt, und trotzdem kommt jeder zu seinem Interesse. 
Es gibt übrigens einen zweiten Aspekt, mit dem wir das „human kind-Kriterium", wonach das All der ganzen Menschheit gehört, erfüllen werden. Wenn wir irgendwann wertvolle Materialen auf die Erde bringen — wohlwissend, dass das „space mining" an sich erst in einer sehr viel späteren Phase des Projektes realisierbar sein wird — wird unsere Initiative dazu führen, dass u.a. „seltene Erden", Metalle, die man bei der Produktion etwa von Smartphones unbedingt benötigt und deren Ausbeutung zurzeit zu 90% in den Händen von China liegt, sehr viel billiger werden. Wenn in Zukunft nicht eine Milliarde Menschen, sondern drei Milliarden ein Smartphone besitzen wollen, dann ergibt das ein enormes Problem auf der Preisebene, der Zugang zu modernen Kommunikationsmittel droht aufgrund des Preises eingeschränkt zu werden. Wenn wir aber diese Materialien aus dem Weltraum nehmen, das gilt auch für Platin oder Gold, dann wird das selbstverständlich die Preise drücken. 
Ergo es entsteht ein Vorteil für die gesamte Menschheit, weil jeder davon profitiert, egal in welchem Land er lebt. Nun kann man natürlich immer noch fragen: „Ist es denn erlaubt, dass die einen das machen und die andern nicht?". Aber wie war es mit dem Erdöl? Die Länder, die welches hatten, hatten Glück und alle andern hatten Pech. Wir bezahlen seit Jahrzehnten die Gas- und Erdöl-Rechnungen an Russland und die arabischen Länder. Daran hat sich auch noch nie jemand gestört. 
Noch einmal: Meine Strategie ist es, die Staaten an einen Tisch zu bekommen, die auf einer Wellenlänge sind — wir aber sind im „driver's seat" und das ist das, was ausschlaggebend ist. Und bis andere Länder eine Gesetzgebung haben, haben wir bereits so viele der einschlägigen Firmen und Start-Ups vor Ort, dass der Hauptanziehungspunkt der Branche in Luxemburg liegt. Die Unternehmen werden sich sagen: „Wieso soll ich nach Portugal gehen, selbst wenn die in drei Jahren ein Gesetz haben, wenn das ganze Know-How schon in Luxemburg ist?"

Forum: Kann man das Know-How hier so schnell aufbauen? 

Étienne Schneider: Die Unternehmen kommen einfach. 
Wir haben, ja schließlich auch Immigrationsgesetze, die erlauben, dass eine Firma die Leute, die sie braucht, vor Ort aber nicht findet, mitbringen darf. 

Forum: Gemeinhin besteht Recht ja nur dort, wo man es auch durchsetzen kann und den USA traut man gemeinhin zu, mit ihrer militärischen... 

Étienne Schneider: Ich unterbreche Sie, ich bin auch Verteidigungsminister. 

Forum: Natürlich. Luxemburg hat jetzt vier Hubschrauber bestellt, um seine Hochseeflotte zu schützen. Werden wir in Zukunft eine Weltraumflotte aufbauen, um im Falle von Konflikten... 

Étienne Schneider: Wir bauen gar nichts. Ich sehe unsere Rolle als Vermittler, um diesen ganzen Sektor zu entwickeln, und genau deshalb wird dies in meiner Sicht für den Staat kein riesiges Investment. 

Forum: Sie sehen nicht den Zusammenhang, dass wer Recht setzt, es auch durchsetzen muss? 

Étienne Schneider: Wir sind ein souveräner Staat und wir begeben uns in einen Bereich, der nicht klar reglementiert ist, wo vor allem aber nicht verboten ist, was wir vorhaben. Wenn es so wäre, dass das, was wir machen, nicht rechtens wäre, dann hätte irgend ein Akteur schon 2015 bei den Vereinten Nationen Beschwerde eingelegt oder Anzeige gegen die USA erstattet, oder aber spätestens Einspruch gegen das von uns verabschiedete Gesetz eingelegt. Das hat aber niemand gemacht. Also glaube ich, dass meine Einschätzung der Situation richtig ist: Wir befinden uns in einer Situation, in der die Extrahierung von Ressourcen im Weltraum vielleicht rechtlich nicht explizit erlaubt, aber eben auch nicht explizit verboten ist. Und dann ziehe ich die Parallele zu den internationalen Ozeanen, die keinem Staat gehören und wo trotzdem jedermann fischen und den Fisch mit nach Hause nehmen und kommerzialisieren darf. Vergleichbar dazu gehören die Asteroiden niemandem, niemand darf seine Flagge dort aufstellen und sie für sich beanspruchen. Man darf sich aber sehr wohl ein paar Steine mitnehmen, diese mit zur Erde bringen und sie dort verwerten. Übrigens haben im Rahmen von Explorationsreisen eine Reihe von Nationen bereits Gesteinsproben mit auf die Erde gebracht. Im eigentlichen Sinne des Wortes wäre das ja dann auch nicht erlaubt gewesen. 

Forum: Meine Frage bezieht sich jetzt nicht auf die formale juristische Argumentation, sondern auf die Durchsetzung dieses neu geschaffenen Rechtes. China schafft beispielweise im südchinesischen Meer neue territoriale Verhältnisse, die im Widerspruch zum Meeresrecht stehen. Warum? Weil das Land über die nötige Durchsetzungskraft verfügt. Können Sie sich vorstellen, dass Luxemburg im Rahmen der Weltraum-Aktivitäten in internationale Konflikte geraten könnte? 

Étienne Schneider: Nein, dieser Meinung bin ich aus zwei Gründen nicht. Erstens weil der Weltraum ein bisschen größer ist als die Erde, deshalb glaube ich nicht, dass wir uns dort in die Quere kommen. Und zweitens ist es so, dass wir mit den großen Staaten, die über die Durchsetzungskraft verfügen, in Verhandlungen stehen. Ich hatte letzte Woche eine lange Diskussion mit dem russischen Premierminister Medwedew, der sehr stark an unserem Vorhaben interessiert ist und mit uns kooperieren will. 
Ich bin seit nunmehr zwei Jahren bereits in Gesprächen mit Russland, unter anderem mit Roscosmos, und hier war man zu Anfang noch eher der Meinung: „Ja aber, brauchen wir das denn wirklich? Wir haben noch so viele Schätze auf unserem riesigen Territorium." Mittlerweile haben sie verstanden, dass es noch ganz andere Perspektiven gibt. 

Forum: Russland betreibt schon seit langem kommerzielle Raumfahrt. 

Étienne Schneider: Ja, genau. Mit unseren russischen Gesprächspartnern haben wir ausgemacht, eventuell zu Beginn nächsten Jahres ein „Memorandum of Understanding" zu unterschreiben, also eine Kooperation einzugehen. Wir sind auch mit China in Kontakt, im Januar reise ich dorthin, um Kooperationsgespräche zu führen. Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und mit Portugal haben wir Abkommen in diesem Bereich unterzeichnet. Mit Japan werden wir bei der Staatsvisite nächsten Monat (November 2017) ein Abkommen unterzeichnen. Das bedeutet, dass die großen Länder, die in dem Bereich führend sind, mit uns zusammenarbeiten wollen! 
Es ist eine Art Husarenstreich, den wir hier scheinbar hinbekommen, etwas was keiner vor uns wirklich gemacht hat. Und jetzt, da wir es durchziehen und es weltweit derart mediatisiert wird — klopft jeder an unsere Tür und fragt: „Dürfen wir mitmachen?" Ein Bericht für den ehemaligen französischen Premierminister Manuel Valls zur Positionierung Frankreichs im Bereich der Weltraumaktivitäten hat Luxemburg neunzehn Mal als nachahmenswertes Beispiel genannt. Neunzehn Mal. Auch wenn es überall Neider gibt, die glauben, uns das schlechtreden zu müssen, weiß jeder, der sich auskennt, dass man diesen Zug nicht verpassen darf. Je mehr Länder mitmachen wollen, desto mehr Sicherheit habe ich, um ein Gesetz tatsächlich auch durchzusetzen. Und wenn meine Partner China, Russland, Amerika und noch ein paar andere heißen, dann glaube ich nicht, dass ich einen Helikopter brauchen werde. 

Forum: Das luxemburgische Parlament ist Ihnen auch gefolgt und hat mit überwältigender Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, dass Luxemburg zu einem Rechtsraum für Weltraumaktivitäten macht. Hat Sie diese Einmütigkeit überrascht? Mit welchen Argumenten haben Sie die Abgeordneten überzeugen können? 

Étienne Schneider: In der Sitzung habe ich zuerst die Bedenken zitiert, die 1985 in der Chamber vorgebracht wurden, als es darum ging, dass der Staat die SES für den Start des ersten Satelliten eine Garantie geben sollte, für die damals keine Versicherung aufkommen wollte. Diese Staatsgarantie machte fast 5 % des Staatsbudgets aus, was ja enorm ist. 
„Wer braucht schon einen Satelliten, um fernzusehen? Wir haben doch unsere drei, vier Fernsehprogramme! Und sonntags noch eine Stunde Hei Elei mam Jean Octave, was braucht es mehr? Wir haben alle unsere Antennen auf dem Dach, das geht doch!" Und die Sicherheitsbedenken waren: „Wenn ein Satellit auf die Erde fällt, verursacht er einen riesigen Schaden und Luxemburg muss dafür aufkommen." Das war der damalige Gemütszustand und schauen Sie, was sich in der Zwischenzeit alles verändert hat. Die Erfahrung mit der SES müsste uns das Vertrauen geben, dass selbst eine Idee, die heute noch ein wenig verrückt klingt, an die aber ganz große Investoren glauben — von [Elon] Musk bis [Jeff] Bezos, Larry Page und andere — und auch große Staaten, Substanz hat. 
Und dann habe ich morgens, bevor wir über das Gesetzesprojekt abstimmen sollten, einen Kaffee mit Claude Wiseler getrunken — die CSV wollte bis dahin noch gegen das Gesetz stimmen — um Claude Wiseler zu sagen: „Claude, du wirst sehen, wenn ihr das nicht stimmt, werdet ihr euch wirtschaftspolitisch auf der falschen Seite der Geschichte wiederfinden."

Forum: Heißt das, dass Sie am Morgen der Abstimmung die CSV noch umstimmen konnten? 

Étienne Schneider: Ja. Mit einem Kompromiss, der darin bestand, dass wir eine Motion der CSV angenommen haben, die wir zusammen ausgearbeitet haben. In der CSV gab es eine ganze Reihe von Leuten, die der Sache positiv gegenüber standen — Claude Wiseler übrigens auch — andere aber waren dagegen, die das Projekt als Humbug ansahen oder aus politischen Motiven dem Schneider nicht recht geben wollten. 

Forum: Der Finanzminister hat bis zu 200 Millionen Euro bereitgestellt, die in private Unternehmen dieser Branche investiert werden sollen. Warum muss, nachdem der Privatwirtschaft ein attraktiver Rechtsrahmen gegeben wurde, der liberale Staat noch dazu als Risikokapitalgeber für private Unternehmen auftreten? 

Étienne Schneider: Wenn man so ein Business entwickeln will — das war zumindest meine Analyse und ich glaube nicht, dass sie so falsch ist —möchte man von diesen Start-Ups ernst genommen werden, und das bedeutet, dass man auch Geld in die Hand nimmt.
Und deshalb bin ich in den Regierungsrat gegangen und habe innerhalb von fünf Minuten ein Budget von 200 Millionen Euro bewilligt bekommen. Aber noch einmal: Wir haben bisher nur 25 bis 30 Millionen Euro ausgegeben und das nur als Kapitalbeteiligung an Firmen, von denen wir der Meinung sind, dass sie einen wirtschaftlichen Erfolg haben werden, so wie wir das damals mit der SES gemacht haben. 

Forum: Das heißt der Staat wird Anteilseigner bzw. Aktionär dieser Firmen? 

Étienne Schneider: Ja. Wir könnten all diese Firmen natürlich auch anziehen, indem wir ihnen besondere Forschungshilfen gewähren. 
Ich bin aber immer mehr der Ansicht, dass Staat und Steuerzahler mehr davon haben, wenn wir uns direkt am Kapital dieser Firmen beteiligen, als dass wir einfach nur Forschungsgelder zur Verfügung stellen. Zugeteilte Forschungsgelder sind irgendwann weg, die bekommt man nie wieder zurück. Wenn ich jedoch ins Kapital einsteige, entwickelt sich die Firma genauso gut, und als Staat habe ich noch dazu die Aussicht, Dividenden zu erhalten, wenn es denn wirklich glatt läuft. 

Forum: Wenn es um diese Gewinnaussichten geht, nennt Ihr Berater, Pete Worden, etwas seltsame Zahlen. Er spricht von „Bazillion Dollars" die zu erwarten wären. Können Sie uns diesen Ausdruck erklären? 

Étienne Schneider: Ja. Er sagt „Bazillion", weil er damit sagen möchte, dass die Gewinne nicht zu berechnen sind. 

Forum: Was heißt das? 

Étienne Schneider: Er will damit eigentlich ausdrücken, dass es lächerlich ist, zu behaupten: „Dieser oder jener Asteroid hat einen Wert von 14,3 Billiarden oder Milliarden oder Millionen oder was auch immer." Solche Angaben sind heute überhaupt nicht möglich. Der Wert definiert sich ja nicht über den heutigen Marktpreis des Gesteins. 

Das wäre eine Milchmädchenrechnung. 
Wenn ich morgen einen Klumpen Platin von 100 x 100 Meter auf die Erde runterbringe — vorausgesetzt ich verfüge über die Technologie dies zu bewerkstelligen — dann fällt der Wert dieses Metalls so dramatisch, dass der Preis nicht mehr vorauszusehen ist. Der Markt wäre komplett ruiniert, deshalb spricht Pete Worden immer von „Bazillion Dollars". 
Als Bürger habe ich kein Problem, wenn mein Smartphone, in dem bestimmte seltene Metalle verarbeitet sind, morgen 200, 300 Dollar billiger ist. Es sind eine Reihe von Investoren, die ein Problem haben werden, jene, die in Bergbau investiert haben, werden die Verlierer sein und nicht die Bürger. Deshalb sind auch Bergbaugesellschaften mit uns in Kontakt getreten, weil sie ahnen, dass im Falle eines Gelingens ihre Ressourcen nicht mehr viel wert sind. 

Forum: Von welchem Zeithorizont gehen Sie persönlich aus, bis sich die Investitionen des Staates rechnen? 

Étienne Schneider: Der Gewinn ist für Luxemburg jetzt schon festzustellen, allein durch den Imagegewinn, den Luxemburg durch diese Initiative verzeichnet. Für einmal wird nicht im Rahmen von „Lux-Leaks" oder „Panama-Papers" über Luxemburg geredet, sondern wegen eines spannenden Projektes. Daneben haben wir aber auch sofort etwas davon, wenn sich diese Firmen bei uns ansiedeln. Sie stellen Leute ein, die Lohnsteuern zahlen und übrigens nicht nach dem Mindestlohn entlohnt werden. Vielleicht müssen die Unternehmen noch keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen, weil sie noch keine haben, aber für uns ist ein finanzieller Ertrag in anderer Form zu verzeichnen. Und wir sind erst am Anfang. Wir werden demnächst — ich habe gestern die Bestätigung erhalten —noch eine große Firma hinzu bekommen, die von Arbeitsplätzen im dreistelligen Bereich spricht. Das bedeutet, dass sich diese Branche jetzt sehr schnell entwickeln kann. 

Forum: Von welchem Zeithorizont gehen Sie aus, was die tatsächlichen Weltraumaktivitäten anbelangt? 

Étienne Schneider: Es gibt in diesem Bereich kurz-, mittel- und langfristige Businessmodelle.
Aktuell sind alle Dienstleistungen, die auf Satelliten aufbauen, d.h. Erdobservationen zum Beispiel für die Landwirtschaft. 

Forum: Das Satellitengeschäft fällt auch unter das neue Gesetz? 

Étienne Schneider: Ja schon. Das zweite, mittelfristige Businessmodell hat auch mit Satelliten zu tun — und steckt gerade in der Entwicklungsphase. Ein Satellit, den die SES beispielsweise in eine Erdumlaufbahn schießt, hat eine Lebensdauer von 10 bis 13 Jahren. Seine Lebensdauer hängt damit zusammen, wie viel Sprit er dabei hat, um sich neu ausrichten zu können. Er muss sich dauernd neu positionieren, weil ununterbrochen Teile auf ihn zufliegen und er ausweichen muss. Mit dem sich häufenden Weltraumschrott steigt die Anzahl der notwendigen Bewegungen immer mehr an und seine Lebensdauer wird immer kürzer. Wenn man weiß, dass ein solcher SES-Satellit 100 bis 140 Millionen Dollar oder Euro kostet, ist eine kürzere oder längere Lebensdauer natürlich ein entscheidender Faktor. Und jetzt komme ich zu unserem Gesetz. Es gibt Firmen, die wollen auf Asteroiden das Eis abzweigen, es dann in Wasser umwandeln, aus dem Wasser mit Hilfe von Sonnenenergie Wasserstoff schaffen und damit in Zukunft die Satelliten mit neuer Energie versorgen, also sozusagen betanken. Da sind wir ganz im Anwendungsbereich unseres Gesetzes, da es sich ja um Weltraumrohstoffe handelt, die zur kommerziellen Nutzung verwertet werden. Die SES als einer der weltgrößten privaten Satelliten-Betreiber ist sehr an diesem Konzept interessiert und hat auch schon Verträge mit den Firmen unterschrieben, die das entwickeln. 

Forum: Wann könnte es Ihrer Meinung nach soweit sein, dass der Mensch im Weltraum nutzbare Energie auf der Basis von Wasser und Sonnenenergie herstellt? 

Étienne Schneider: Das sind Projekte, die in den nächsten drei bis fünf Jahren funktionieren sollen. 

Forum: Sie gehen davon aus, dass in drei bis fünf Jahren auf Asteroiden Wasser genommen, in Energie umgewandelt und damit Satelliten betankt werden? 

Étienne Schneider: Ja. Absolut. 

Forum: Wirklich? 

Étienne Schneider: Das sind die Pläne, die vorliegen. Eine weitere Firma („Made In Space"), mit der wir in Verhandlung stehen, hat einen 3D-Drucker entwickelt, der in der Schwerelosigkeit funktioniert. Die Idee dahinter ist, dass das Material — sämtliche Mineralien, die man benötigt — vorhanden ist und man vor Ort alles herstellt, was man braucht. Auf der ISS-Raumfahrtstation ist das schon getestet worden. Dort gab es oft das Problem, dass Teile oder Werkzeuge kaputt oder verloren gegangen waren.
Ich war dabei — am Bildschirm — als eine spezifische Zange, die verloren gegangen war, ersetzt wurde. Die war irgendwohin weggeflogen und die Astronauten haben sie nicht mehr wiedergefunden. Sie haben für den 3D-Drucker von der Erde aus das Programm raufgeschickt, das Material, bzw. die Mineralien genommen und das Teil vor Ort gedruckt. Es hat funktioniert. 

Forum: Super! 

Étienne Schneider: Das Ziel dahinter ist, morgen eher eine ganze Produktionskette im Weltraum zu haben, als alles mit auf die Erde runterzubringen. Dadurch könnten sämtliche Weltraumaktivitäten billiger werden. 
Morgen wird man nur noch Sprit für 150 Meilen brauchen, um aus der Erdanziehungskraft herauszukommen und dann wird im Weltraum getankt. Ein Kilo Werkstoff 150 Kilometer oder 150 Meilen hoch in die Luft zu schießen, kostet heute um die 15 000 bis 20 000 Dollar. Ob das nun Wasser oder sonst etwas ist.
Wenn man in Zukunft für eine Weltraumexploration diesen ganzen Sprit und das Wasser nicht mehr mitnehmen muss, dann wird das so viel billiger, dass man weitere und häufigere Expeditionen unternehmen kann. Der Mensch braucht 2 Liter Trinkwasser pro Tag, was allein Kosten von 30 000 bis 40 000 Dollar pro Person und pro Tag bedeutet. Wenn man dieses Wasser, dieses Eis, einfach nur vom Mond oder von wo auch immer holt und filtert, dann sinkt dieser Kostenpunkt dramatisch. Dieses Geschäft ist natürlich erst ganz am Anfang seiner Entwicklung, aber das was in Zukunft kommt, wird — durch die neuen Möglichkeiten — gigantisch. 

Forum: Eröffnet das All für Sie — theoretisch zumindest — die Möglichkeit eines grenzenlosen Wachstums? 

Étienne Schneider: Wir dürfen im Weltraum nicht die gleichen Fehler wie auf der Erde begehen, deshalb plädiere ich überall dafür, dass wir eine internationale Regelung benötigen, am besten auch auf Ebene der Vereinten Nationen, die einen strikten Rahmen für den Umgang mit Weltraumschrott schafft.
Der zunehmende Weltraumschrott ist eine ernste Gefahr. Jede einzelne Schraube ist eine Schusswaffe, ist eine Gefahr für jede andere Aktivität. Wir müssen diese Angelegenheit und die Verantwortlichkeiten also klar regeln. Aber auch die Beseitigung von Weltraumschrott und die Wiederverwertung dieses wertvollen Materials kann ein lohnendes Geschäftsmodell werden. 

Forum: Abgesehen von der Verschmutzung des Weltraums und den Gefahren für die Umwelt... 

Étienne Schneider: Es klingt seltsam, aber es gibt keine Umwelt im All! Es gibt bis auf Weiteres keinen Beweis für irgend eine Form von Leben im Weltraum. Es sind schlichtweg Steine. 

Forum: Die NASA hat gerade eine Sonde kontrolliert auf Saturn verglühen lassen, um sicher zu gehen, dass nicht mögliches Leben auf Saturnmonden infiziert wird. 

Étienne Schneider: Ja. Das ist auch eine Verpflichtung, die auf Ebene der Vereinten Nationen eingegangen wurde. Wir müssen alles unternehmen, um klinisch komplett keimfrei im Weltraum zu operieren. Wir wissen noch nicht genug, um abschätzen zu können, welche Auswirkungen das Einwirken des Menschen unter Umständen haben könnte. Das Gleiche gilt aber auch für das Material, dass man wieder zurück auf die Erde bringt. Diese Frage ist aber an sich geklärt. Unsere Erde wird seit Milliarden von Jahren von Asteroiden und allem Möglichen, das im Weltraum rumschwirrt, beschossen. Das heißt, die Mikroorganismen, die es vielleicht geben könnte, sind sowieso schon alle hier. Die Frage ist eher, wie wir sicherstellen können, dass Viren oder andere vom Menschen produzierte organische Lebensformen nicht in den Weltraum exportiert werden? Davon abgesehen, dass wahrscheinlich nicht alle diese Viren im Weltraum überlebensfähig sind, ist es trotzdem enorm wichtig, diese Verantwortung zu respektieren. 

Forum: Sehen Sie die Welt noch als einen begrenzten Resourcenraum, wo grenzenloses Wachstum unmöglich ist, oder öffnet sich durch die Ressourcen des Weltalls die Perspektive eines grenzenlosen Wachstums? 

Étienne Schneider: Nein, ich glaube „grenzenloses Wachstum" bedeutet ja nicht nur sicherzustellen, dass wir die Materialien, die wir im Weltall vorfinden, im Überfluss haben. Wachstum bedeutet ja auch Populationswachstum, Wachstum heißt auch Populationen ernähren und all das können wir nicht im Weltraum — zumindest werden wir das in den nächsten paar hundert Jahren nicht können. Worum es hier nur geht, ist die Aussicht auf Resourcen, die wir vorher nicht hatten und die es uns z.B. ermöglichen werden, der ganzen Menschheit den preiswerten Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln zu bieten. Dann haben wir etwas für die Menschheit gemacht. Im positiven Sinn. Das, glaube ich, muss das Ziel sein. 

Forum: Im Gesetz wird als eines der Ziele dieser Initiative die Stimulierung des Wachstums genannt. Inwiefern sollen wir hier in Luxemburg von diesem Wachstum profitieren? Wer hat konkret etwas davon? 

Étienne Schneider: Ich würde sagen, erst einmal die Leute, die später einen Job in diesen Firmen oder in den peripheren Geschäftsfeldern finden. Das erscheint mir selbstverständlich. Auf der anderen Seite ist es der Staat, der natürlich durch Lohnsteuern, Betriebssteuern oder Dividenden Einnahmen einfährt. Und der Staat sind wir — wieder einmal — alle. Für den Bürger hier in Luxemburg macht es keinen Unterschied, womit der Staat Geld verdient. 
Hauptsache ist, seine Sozialversicherung kann sichergestellt, seine Infrastrukturen, seine Schulen können gebaut werden. Von daher, glaube ich, macht es keinen wirklichen Unterschied, von welchem Geschäftsmodell wir reden. 

Forum: Die LSAP wird sich in den kommenden Monaten für die Nationalwahlen positionieren müssen. Wie passt diese Initiative in die Wirtschaftsstrategie einer sozialdemokratischen Partei? 

Étienne Schneider: Durch die Ressourcen, die wir im Weltraum erschließen, sorgen wir dafür, dass vieles, was heute nur für Leute mit dicker Brieftasche zugänglich ist, morgen für jedermann zugänglich sein wird. Von daher, glaube ich, ist es eine Wirtschaftsentwicklung, die in diesem Sinne auch sozial ist. 

Forum: Vielen Dank für das Gespräch! 

Das Gespräch fand am 24. Oktober statt

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