Interview von Étienne Schneider in der Saarbrücker Zeitung

Griff nach den Sternen und den VSE-Aktien

Interview: Saarbrücker Zeitung (Lothar Warscheid)

Saarbrücker Zeitung: In Sachen Energiepolitik gibt es im Saarland und in Luxemburg eher ein unkoordiniertes Nebeneinander. Ist hier mehr möglich — sogar ganz aktuell? So findet bei der VSE gerade ein Wechsel des Mehrheitsgesellschafters von Innogy zu Eon statt. Wäre dies nicht eine gute Gelegenheit, regionale Allianzen einzugehen, indem der Luxemburger Energiekonzern Encevo die VSE-Mehrheit übernimmt?

Étienne Schneider: Ich plädiere schon seit Jahren dafür, dass man das machen sollte. Denn ich bin der Meinung, dass sowohl die Energieversorgung im Saarland als auch in Luxemburg sehr gut ist, die Firmen aber sehr klein sind. Wir reden immer über diese regionale Zusammenarbeit, doch wenn es um wichtige Themen geht, verschließen sich komischerweise alle Türen. Das finde ich schade. Ich wollte mit dem Saarland immer in die Richtung gehen, dass wir uns verbünden. Bei der VSE könnte man den Aktionären ihre Anteile abkaufen. Mit Enovos und Creos ist der Luxemburger Energieversorger Encevo, an der das Land und die Stadt Luxemburg zu 75 Prozent beteiligt sind, bereits im Saarland tätig. Außerdem ist Enovos an der VSE-Tochter Energis beteiligt. Hier bestünde die Möglichkeit, Anteile und Kapital zu tauschen und die Aktivitäten zu bündeln. Mir geht es um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Dann könnte man auch über unsere Region hinaus interessante Geschäftsmodelle aufbauen und Geld verdienen. Allerdings muss der politische Wille vorhanden sein.

Saarbrücker Zeitung: Doch jetzt zu Ihren jüngsten Aktivitäten. Luxemburg hat kürzlich eine Weltraumagentur, die Luxembourg Space Agency (LSA) gegründet. Damit macht die Regierung einen weiteren Schritt zur kommerziellen Nutzung des Weltraums. Welches wirtschaftspolitische Potenzial sehen Sie für diese Initiative?

Étienne Schneider: Als ich vor sieben Jahren Wirtschaftsminister wurde, habe ich ziemlich schnell gemerkt, dass auf allen Wirtschaftsfeldern, in denen Luxemburg diversifizieren wollte, andere Länder genau das Gleiche tun. Das ist zum Beispiel die Gesundheitswirtschaft inklusive der personalisierten Medizin, aber auch die Bereiche Information und Kommunikation, Neue Materialien oder Werkstoffe. Wir mussten etwas finden, wo wir zumindest am Anfang wieder ein Alleinstellungsmerkmal haben.

Saarbrücker Zeitung: Wie kamen Sie dann auf den Weltraum?

Étienne Schneider: Zufällig lernte ich damals den Chef des Nasa-Forschungszentrums kennen. Dieser erzählte mit von der Möglichkeit, Rohstoffe im Weltall abzubauen.

Das hat mich interessiert und es hat sich allmählich entwickelt. Irgendwann merkte ich, dass dies genau das ist, worauf man in Luxemburg oder in Europa einen Wirtschaftszweig aufbauen könnte, den die anderen so noch nicht verfolgen. Wir haben uns die rechtlichen Voraussetzungen angeschaut und ziemlich schnell herausgefunden, dass der Raumfahrt-Vertrag der Vereinten Nationen von 1967 eine kommerzielle Nutzung des Weltraums nicht vorsieht, aber auch nicht ausschließt. Daher haben wir einen ähnlichen Rechtsrahmen entwickelt wie beim Fischen in den internationalen Meeren. Dem Fischer gehören die Fische und nicht der Ozean. In Parallelität dazu darf auch im Weltraum niemand ein Gestirn besitzen, aber er darf die Mineralien abbauen und vermarkten. 2017 haben wir ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.

Saarbrücker Zeitung: Hier müsste Amerika als Raumfahrtnation doch auch schon aktiv geworden sein?

Étienne Schneider: In der Tat. Die USA haben ein ähnliches Regelwerk. Dort müssen aber die Firmen, die sich dem Weltraumgeschäft zuwenden, mehr als 50 Prozent US-Kapital besitzen. Das haben wir nicht gemacht.

Das wiederum interessiert die Weltraumfirmen in den Vereinigten Staaten. Sie fangen mit US-Kapital ganz oft als Start-ups an. Wenn sie aber wirklich in den Weltraum wollen, brauchen sie richtig viel Geld. Dann stehen sie vor der Barriere, dass sie nicht genügend US-Millionen zusammenbekommen. Dadurch fallen sie auch nicht mehr unter das Gesetz. Daher sind sie sehr stark daran interessiert, auch ein Standbein in Luxemburg zu haben. Das hilft ihnen zudem auch, bei Programmen der Europäischen Weltraumagentur ESA mitzumachen, weil Luxemburg ESA-Mitglied ist. Diese Firmen brauchen auch eine Regierung, die dieses Geschäftsmodell unterstützt.

Saarbrücker Zeitung: Und das tun Sie?

Étienne Schneider: Ja, das haben wir klar gesagt. Wir nehmen 200 Millionen Euro in die Hand, um das Geschäft anlaufen zu lassen. Wir haben zudem unsere Fördermittel für Forschung und Innovation an diese neuen Aktivitäten angepasst. Außerdem brauchen wir Risikokapital (Venture Capital). Jetzt legen wir einen entsprechenden Fonds über 100 Millionen Euro auf, der genau in diese Firmen investieren wird. Das ist auch noch nicht viel Geld. Aber jetzt wollen andere Venture-Capital-Firmen nach Luxemburg kommen, die sehr viel mehr Geld in der Hinterhand haben.

Saarbrücker Zeitung: Gibt es erste Erfolge?

Étienne Schneider: Seit zwei Jahren verfolgen wir diese Aktivitäten. Inzwischen haben sich bereits 20 Firmen aus diesem Bereich in Luxemburg niedergelassen. Die beschäftigen bereits Hunderte von Mitarbeitern.

15 weitere Unternehmen wollen ihre Entscheidungen in den nächsten Monaten verkünden. Zusätzlich haben wir noch 150 Firmen aus der ganzen Welt in der Pipeline. Darüber hinaus haben wir eine Reihe Kooperationsabkommen mit anderen Ländern geschlossen, die auch daran interessiert sind, in der Weltraumwirtschaft aktiv zu werden. Das ist Portugal als einziges EU-Land und es sind Japan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland und China.

Die Chinesen wollen zudem ihr Forschungszentrum für Space Mining (Weltraum-Bergbau) in Luxemburg ansiedeln. Da tut sich etwas. Auch die ESA unterstützt uns jetzt.

Saarbrücker Zeitung: Und die anderen EU-Länder?

Étienne Schneider:  Was mir fehlt und was ich sehr bedauere ist, dass andere EU-Länder hier nicht aufwachen - speziell Deutschland. Die deutsche Regierung will abwarten, bis das international geregelt ist. Aber das wird in zehn Jahren noch nicht der Fall sein. Bis dahin ist es zu spät.

Saarbrücker Zeitung: Was treibt Sie dabei an?

Étienne Schneider:  Mein Verständnis als Wirtschaftsminister ist es, Visionen zu entwickeln und nicht das Bestehende zu verwalten.

Saarbrücker Zeitung: Doch jetzt zurück zur Erde. Luxemburg wirbt mit Erfolg Industrie-Unternehmen an, die im Großherzogtum nicht nur eine Briefkasten-Adresse haben, sondern dort auch produzieren wollen.

Als Wirtschaftsminister müssten Sie darüber doch eine ungetrübte Freude empfinden — oder?

Étienne Schneider: Diese Freude habe ich auch. Wir haben einiges machen müssen, um diese Betriebe anziehen oder andere halten zu können.

Als Minister, der auch für Energie zuständig ist, habe ich dafür gesorgt, dass die Energiepreise für Industrieunternehmen sehr konkurrenzfähig sind. Die Umlage für erneuerbare Energien, die man auch in Deutschland zahlt, habe ich bei den großen Stromverbrauchern fast vollständig auf Null gefahren. Sie bezahlen nur einen symbolischen Betrag, müssen sich aber parallel dazu verpflichten, energieeffizienter zu werden, und diese Steigerung der Effizienz auch nachweisen. Das ist für energieintensive Unternehmen sehr interessant. Für den Internet-Riesen Google, der in Luxemburg ein Rechenzentrum bauen will, ist dies eines der Hauptargumente. Denn solche großen Data-Center verbrauchen enorm viel Strom.

Saarbrücker Zeitung: Ist die Entscheidung von Google, in Luxemburg ein solches Center zu errichten, jetzt in trockenen Tüchern?

Étienne Schneider: Nein. Ende September wollen mir die Amerikaner Details mitteilen, was sie jetzt planen. Doch Google hat bereits über 30 Millionen Euro ausgegeben, um Grundstücke zu kaufen. Auch die Genehmigungsverfahren laufen. Ich gehe davon aus, dass der Software-Riese Ende des Monats sagt, welche Investition genau geplant ist. Es ist die Rede davon, dass Google in Luxemburg eine Milliarde Euro investieren will. Das wäre das größte Einzelinvestment, das je in Luxemburg getätigt wurde.

Saarbrücker Zeitung: Seit dem Lux-Leaks-Skandal glauben viele, dass diese Ansiedlungserfolge immer noch darauf zurückzuführen sind, dass die Unternehmen mit komfortablen Steuerspar-Modellen geködert werden.

Was sagen Sie zu diesem Vorwurf?

Étienne Schneider: Bei uns sind die Steuersätze längst nicht mehr komfortabel. Mit einem Gesamtsteuersatz von 26 Prozent bei den Betrieben liegen wir im Mittelfeld in der EU.

Seitdem die jetzige Regierung im Amt ist, das ist seit 2013, sind wir konform zu allen europäischen Regeln und haben alles getan, um von diesen grauen und schwarzen Listen herunterzukommen. Wer Luxemburg heute als Standort wählt, für den sind die gute Infrastruktur und die schnellen Genehmigungsverfahren interessant. Außerdem schätzen sie eine Regierung, die für Marktwirtschaft steht und sie unterstützt, ihre Aktivitäten auszubauen und auf andere Märkte zu kommen.

Auch der relativ hohe Mindestlohn im Großherzogtum spielt für sie keine Rolle. Die politische Stabilität und die Rechtssicherheit - das ist ausschlaggebend.

Saarbrücker Zeitung: Sie sind ja auch dem Vorwurf ausgesetzt, dass die Jobs in den neuen Fabriken mehrheitlich für Grenzpendler geschaffen werden und den Luxemburgern selbst wenig bringen.

Étienne Schneider: In Luxemburg wird in der Tat die Diskussion geführt, ob wir überhaupt soviel Wachstum brauchen, wie wir derzeit haben.

Dieses liegt bei vier bis fünf Prozent.

Die Leute sehen nur die Nachteile dieses Wachstums, sprich die Mobilitätsprobleme, die 180 000 Grenzpendler mit sich bringen.

Saarbrücker Zeitung: Sie haben zur Entlastung vorgeschlagen, Telearbeitsplätze für Grenzpendler einzuführen. Dann könnten diese teilweise von zu-hause aus arbeiten, sollen aber bei Steuern und Sozialabgaben so gestellt sein, als wenn *sich ihr Schreibtisch im Großherzogtum befindet. Stößt diese Initiative in den Nachbarländern auf fruchtbaren Boden?

Étienne Schneider: Wir haben bereits Abkommen mit unseren Nachbarländern. Danach können die Mitarbeiter eines Luxemburger Unternehmens im Durchschnitt 20 Tage pro Jahr zuhause im Ausland arbeiten, ohne dass sie in Deutschland, Frankreich oder Belgien besteuert werden. Bei allem, was darüber hinausgeht, will der deutsche Fiskus diese Steuern haben, wenn sie zu Hause für ein Luxemburger Unternehmen arbeiten. Das kann ich nachvollziehen. Man sollte Abkommen mit unseren Nachbarländern für die Zeit treffen, die über diese 20 Tage hinausgeht. Uns schwebt vor, dass die Leute weiter so besteuert werden, als wenn sie in Luxemburg arbeiten würden.

Für diese Steuereinkünfte müssten wir einen Schlüssel finden, wie wir die Einnahmen mit den jeweiligen Nachbarländern aufteilen. Ich habe überhaupt kein Problem, einen Teil dieser Steuern abzugeben, weil es der Sache dient. Es wird immer noch billiger als weitere Zugstrecken oder Autobahn-Kilometer zu bauen. Wenn jeder Grenzgänger einen Tag pro Woche von zu Hause arbeiten würde, hätten wir das Verkehrsproblem um 20 Prozent gemindert

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