Interview mit Franz Fayot im Luxemburger Wort

"Das Ende der Naivität"

Interview: Luxemburger Wort (Thomas Klein)

Luxemburger Wort: Franz Fayot, bei aller Unsicherheit in der aktuellen Situation: können Sie eine Einschätzung geben, wie der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen sich auf die Luxemburger Wirtschaft auswirken werden?

Franz Fayot: Wir haben zunächst einmal eine Aufstellung gemacht und gesehen, dass derzeit etwa 20 Luxemburger Betriebe in Russland aktiv sind und vier eine eigene Niederlassung dort haben. Für die Firmen wird das Geschäft natürlich nicht einfacher. Im Einzelnen muss man sich jetzt anschauen, mit welchen Handelspartnern die Betriebe arbeiten, ob diese Handelspartner von irgendwelchen Sanktionen betroffen sind und ob die Geschäfte der Betriebe überhaupt weiterlaufen können. Auf der anderen Seite gibt es auch eine ganze Reihe von russischen Firmen, die hier aktiv sind, zum Beispiel im Finanzsektor, aber auch in der Industrie und im Dienstleistungsbereich. Deren Geschäft wird natürlich vom Krieg, den Sanktionen und möglichen russischen Gegenmaßnahmen beeinträchtigt. Wir sind aktuell dabei, ein Mapping zu erstellen, um einen Überblick zu bekommen, welche Betriebe oder welche Aktionäre von Unternehmen in Luxemburg von den Sanktionen betroffen sind. Erst dann können wir genau abschätzen, was die Auswirkungen auf die Luxemburger Wirtschaft sind. Aber klar ist natürlich, dass die Folgen für die Handelsbeziehungen mit Russland beträchtlich sind.

Luxemburger Wort: Welche Folgen hat der Ausschluss Russlands aus dem Swift-System für die Luxemburger Finanzindustrie?

Franz Fayot: Die Swift-Sanktionen werden natürlich einen Effekt auf den Finanzplatz Luxemburg haben. Wie schwerwiegend oder tiefgreifend diese sind, kann man zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz abschätzen. Wir haben hier einige russische Banken und Luxemburger Beteiligungen an russischen Gesellschaften, es gibt eine ganze Reihe von Verflechtungen. In der Vergangenheit hatten wir gute wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Wir unterhalten in Moskau eine Botschaft und wir haben einen Attaché économique vor Ort. Das können wir jetzt erstmal abschreiben. Dieser Aggressionskrieg ist komplett inakzeptabel. Wir sind absolut solidarisch mit den Menschen in der Ukraine und stehen voll hinter den Sanktionen der Europäischen Union.

Luxemburger Wort: Es zeichnet sich zunehmend ein Systemkonflikt zwischen dem Westen auf der einen Seite und Russland und wohl auch China auf der anderen Seite ab. Bedeutet dies, dass die Zeit vorbei ist, in der man Politik und Wirtschaft als voneinander getrennte Sphären ansieht? Können Unternehmen in dieser Konstellation überhaupt neutral bleiben?

Franz Fayot: Der deutsche Kanzler hat in seiner Rede am Wochenende das Wort Zeitenwende benutzt. Ich denke, das ist genau richtig. Man konnte das vor dem Krieg schon sehen, aber das ist jetzt noch mal deutlicher geworden. Der Konflikt mit Russland, die Auseinandersetzung der USA mit China, dieser neue Kalte Krieg - all das ergibt eine veränderte Welt. Nach dem Ausbruch des Krieges sehen wir jetzt zwei Entwicklungen: eine verstärkte Solidarität in der EU und ein deutlich höherer Stellenwert der Nato. Die EU wird ihre Strategie überdenken müssen und eine gemeinsame Verteidigung aufbauen. Forderungen nach einer strategischen Autonomie hatte es schon zuvor im Rahmen der Pandemie gegeben. Das heißt dass wir einige Schlüsselbereiche wieder hier besetzen müssen - von Halbleitern über Batterien für elektrische Autos bis hin zu den Bereichen Gesundheit und Pharma. Wir haben erkannt, dass wir verschiedene Produktionen wieder in Europa ansiedeln müssen. Das Gleiche gilt für die Dekarbonisierung der Industrie und der Wirtschaft. Wir haben erkannt, dass wir durch unsere Abhängigkeit von fossilen Energien erpressbar geworden sind. Unsere Gasspeicher sind leer, das hatte alles System. Putins Krieg war vorbereitet. Der einzige positive Nebeneffekt dieses schrecklichen Krieges ist, dass die Dekarbonisierung und die Investments in erneuerbare Energien beschleunigt werden.

Luxemburger Wort: Kann man sagen, dass der Westen zu naiv in seiner Wirtschaftspolitik war, während Länder wie China und Russland strategischer vorgegangen sind?

Franz Fayot: Ja, ich denke schon. Wir haben wahrscheinlich unterschätzt, dass jemand wie Putin seine Wirtschafts- und Energiepolitik im Sinne seines Krieges und seiner Politik verwendet hat. Insbesondere Deutschland hat unterschätzt, wie sehr es sich in die Abhängigkeit vom russischen Gas begeben hat. Ich denke aber, dass wir in den letzten beiden Jahren ein bisschen weniger naiv geworden sind, auch in Bezug auf China, das in vielen Orten in Afrika und Europa gezielte Investitionen in strategisch wichtige Bereiche vorgenommen hat. Das wird in Zukunft stärker hinterfragt werden und in dieser Form wohl nicht mehr möglich sein. Auch das bestätigt diesen Trend hin zu mehr europäischer Autonomie und auch zu einem gewissen Schutz des eigenen Marktes. Alles das zielt darauf ab, dass Europa sich besser schützt gegenüber Diktaturen wie Russland oder China. Und das ist gut so.

Luxemburger Wort: Für Luxemburg war es immer günstig, sich als "Gateway to Europe" zu positionieren, auch für Investoren aus Ländern wie China und Russland. Verengt sich durch die neue geostrategische Konstellation der Handlungsspielraum für kleinere Länder?

Franz Fayot: Ja, schon. Es ist zum Beispiel klar, wenn man Teil der Europäischen Union ist, kommt es gar nicht in Frage, sich den Sanktionen irgendeiner Form zu widersetzen. Diese Doktrin im Außenhandel, dass man grundsätzlich mit jedem zusammenarbeiten kann, gilt nicht mehr. Man muss sehr viel Augenmerk legen auf das Thema der "Human Rights Due Diligence", Fragen von Krieg und Frieden aber auch der Menschenrechte. Ich denke, das ist eine positive Entwicklung und glaube auch nicht, dass das problematisch ist. Man muss nicht überall sein und mit jedem Handel treiben. Stattdessen sollte man eine gewisse Kohärenz haben in seiner Politik. Wir verfolgen eine pazifistische, feministische Außenpolitik, die sehr stark auf die Frage der Menschenrechte aufbaut. Das muss man natürlich vereinbaren mit der Wirtschaftspolitik.

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