Interview mit Franz Fayot im Tageblatt

"Ein Sozialist am Boulevard Royal"

Interview: Tageblatt (Christian Muller, Yves Greis)

Tageblatt: Macht Wirtschaft Ihnen Spaß?

Franz Fayot: Ja, das tut sie. Sie ist sehr vielfältig. Das Ministerium ist sehr breit aufgestellt und man kann eine ganze Reihe verschiedener Impulse geben. Die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr kompetent und haben viel Unternehmergeist. Ich finde dieses Ministerium hochinteressant und stimulierend.

Tageblatt: Sollte ein Wirtschaftsministerium - eine Verwaltung also - mit Unternehmergeist geführt werden, oder haben Sie eine Idee, wie es anders geführt werden kann?

Franz Fayot: Eine Funktion des Wirtschaftsministeriums ist es, den Unternehmen Hilfestellung zu leisten. Man ist Wegbegleiter der Unternehmen. Dafür gibt es Finanzhilfen und Agenturen wie Luxinnovation. Wir sind hier, um für die Unternehmen, in den Bereichen, die wir fördern wollen, ein gutes Umfeld zu schaffen.

Tageblatt: Ist es Ihr Traum-Ministerium?

Franz Fayot: Es ist ein "Gestaltungs-Ministerium". Mittels Wirtschaft kann man etwas für die Menschen tun - indem man nicht alles geschehen lässt. Das tut man nicht, indem man jedes Unternehmen herholt, sondern indem man gezielt die Branchen aufbaut und die Unternehmen anzieht, von denen man glaubt, dass sie gut zum Land und zu seiner Entwicklung passen. Die Umwelt spielt eine immer größere Rolle. Die Menschen hinterfragen den Wohlstand und das Wachstum. In all diesen Bereichen kann man mit dem Wirtschaftsministerium Politik machen.

Tageblatt: Was sind das für Unternehmen, die zum Land passen? Gehört Google dazu?

Franz Fayot: Google hat sicherlich Sinn, wenn man die Digitalisierungsstrategie ernst nimmt. Es ist eines der führenden Unternehmen in diesem Bereich. Es muss darauf geachtet werden, dass alle Regeln und Umweltauflagen eingehalten werden und dass das Projekt von den Anwohnern akzeptiert wird. Die Bürgerinitiativen müssen ernst genommen werden. Das Projekt braucht die gesellschaftliche Akzeptanz. Dann ist auch Google zu verantworten. Um auf die erste Frage zurückzukommen ... Es handelt sich dabei um Unternehmen aus den Branchen, in denen wir beschlossen haben, uns breiter aufzustellen: grüne Technologien, Gesundheit, Logistik, Automobilindustrie, Informations- und Kommmunikationstechnik, Weltraum. Diese Sektoren stehen natürlich nicht ein für alle Mal fest. Sie müssen permanent neu bewertet werden, ob sie noch immer für unser Land geeignet sind und ob die Gewichtung verändert werden muss oder ob neue Branchen hinzugezogen werden müssen. Etienne Schneider hat mit der Weltraum-Initiative und mit Rifkin bereits neue Wege gefunden, um zu wirtschaften. Diese Überlegungen müssen nun weiterentwickelt und vertieft werden.

Tageblatt: Wie wichtig ist es für Sie als Wirtschaftsminister, dass Google nach Luxemburg kommt?

Franz Fayot: Google hat das Gelände bereits gekauft. Das Projekt läuft. Ich habe nicht vor, das infrage zu stellen. Wichtig ist, dass das Rechenzentrum so energieeffizient und so umweltfreundlich wie möglich wird. Und dass das Projekt in Bissen akzeptiert wird. Dann habe ich kein Problem mit Google.

Tageblatt: In letzter Zeit war es um Rifkin still geworden. Sie erwähnen ihn nun wieder häufiger ...

Franz Fayot: Vielleicht sollte ich das nicht mehr. Rifkin war ein Mittel, um dem ganzen Prozess mehr mediale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Jeremy Rifkin ist ein bekannter Vordenker im Bereich Energieeffizienz. Es geht dabei um die ökologische Transition und um die Idee der neuen industriellen Revolution, die durch die Digitalisierung hervorgerufen wird. Die ökologische Transition muss in den nächsten Jahren passieren. Dieses Bewusstsein ist wichtig für mich. Wir haben viele Ideen entwickelt, wie Kreislaufwirtschaft stattfinden kann, wie wir energieeffizienter sein können und wie wir anders arbeiten können. Wir müssen wegkommen vom linearen Wirtschaftsmodell, das wir heute immer noch betreiben. Nicht nur Luxemburg, sondern auch Europa und die ganze Welt ist von diesem Wandel betroffen.

Tageblatt: Kapitalismus: gut oder schlecht?

Franz Fayot: (lacht) In der Form, wie Kapitalismus seit den 80er Jahren praktiziert wird, ist er sicher nicht ganz positiv. Heute spüren wir die Auswirkungen. Überall auf der Welt explodiert die Ungleichheit. Die Umwelt wird zerstört. Wir haben Klimawandel. Wir erwirtschaften kurzfristige Profite und nehmen dabei keine Rücksicht auf den Zustand der Gesellschaft, die Rechte der Arbeiter und die Umwelt. All das steht in Verbindung mit einem kurzsichtigen globalisierten Kapitalismus. Das ist eine überlebte Form des Kapitalismus, in der sich auch viele Betriebe nicht mehr wiederfinden. Ich glaube, wir müssen heute von Unternehmen verlangen, dass sie auch eine gesellschaftliche Komponente haben, dass sie die Menschenrechte achten, Respekt vor ihren Kunden haben und die Natur respektieren. Das ist der jungen Generation heute wichtig, aber nicht nur.

Tageblatt: Aber uns geht es so gut wie noch nie und so viele Menschen wie noch nie besuchen eine Schule. Hat unser System nicht auch daran seinen Anteil?

Franz Fayot: Sicher. Ich behaupte nicht, dass alles schlecht ist. Als Gesellschaft geht es uns wahrscheinlich besser als vor Jahren. Eine Idee von Steven Pinker besagt, dass es uns als Menschheit heute sicher besser geht als den Menschen im Mittelalter. In seinem letzten Buch sagt Thomas Piketty, dass Ungleichheiten im Laufe der Zeit zwar fluktuieren, aber auf lange Zeit eher abnehmen. Seit den 80ern allerdings hat die Ungleichheit zugenommen. Das ist eine komplizierte Diskussion. Ich stelle aber fest, dass wir heute in einer Zeit leben, in der es einigen wenigen sehr gut geht und ganz vielen tendenziell schlecht - sowohl was die Bildung angeht, ihre Einkommen sowie ihre Gesundheit. Das kann man nicht schönreden und dagegen muss etwas unternommen werden. Besonders als linker Politiker.

Tageblatt: Etienne Schneider kommt aus bescheidenen Verhältnissen und gilt für manche als zu liberal für die LSAP. Sie kommen aus besseren Verhältnissen und gelten als die linke Hoffnung der LSAP. Was können Sie für die LSAP-Wähler machen, was Etienne Schneider vielleicht nicht konnte?

Franz Fayot: Man könnte sagen, dass ich aus besseren Verhältnissen komme. Eine frühere CSV-Politikerin hat mich einmal als "Sprössling einer Dynastie" bezeichnet. Ich weiß sehr genau, wo ich herkomme - und zwar gewiss nicht aus der Bourgeoisie. Mein Vater ist im Pfaffenthal aufgewachsen. Meine Mutter kommt auch nicht aus wohlhabenden Verhältnissen. Meine Familie auf beiden Seiten war immer engagiert in der sozialistischen Partei. Und zwar nicht, weil sie zu den Gutbetuchten gehörte. Ich finde die Klassendiskussion schwierig. Ich kann dem Vergleich mit Etienne Schneider nichts abgewinnen. Etienne war sozialer, als es scheinen mag. Ich weiß das durch die Positionen, die er in der Fraktion vertreten hat. Mein Sozialismus rührt von einer tiefen Überzeugung her. Das bedeutet nicht, dass mir entgangen ist, wo ich lebe und in welcher Wirtschaft wir hier leben. Man kann die Welt nicht nur in extrem links und liberal einteilen. Es ist etwas komplizierter und es gibt Mitteltöne. Das soll einen aber nicht daran hindern, etwas Gutes zu bewirken.

Tageblatt: Verläuft die Linie in der Gesellschaft heute überhaupt noch zwischen links und rechts?

Franz Fayot: Ich glaube, dass das ein Bezugsrahmen ist, der immer noch Gültigkeit besitzt. Diese Theorien stammen aus den 90ern von Anthony Giddens, Tony Blair und Gerhard Schröder. Demnach gäbe es nur einen Weg, der weder rechts noch links ist. Auf die wachsenden Ungleichheiten kann man mit Laisser-faire reagieren oder keynesianisch, indem man auf die Wirtschaft einwirkt. Ich glaube schon, dass links oder rechts dabei eine Rolle spielt. Das kommt auch in den Diskussionen um Identität, Nationalität und Populismus zum Tragen. Dort findet man viele Merkmale, die entweder einer progressiven Bewegung oder einer reaktionär-konservativen zugerechnet werden können.

Tageblatt: Sie haben eine ganze Reihe von Autoren genannt: Keynes, Giddens, Piketty ...

Franz Fayot: Entschuldigung ...

Tageblatt: Sind Sie jemand, der in der Woche drei Bücher liest?

Franz Fayot: Leider nicht, weil ich nicht so viel Zeit habe. Ich lese aber relativ viel, und zwar nicht nur Bücher, sondern auch luxemburgische und internationale Zeitungen. Mir ist es wichtig, die Ideen von Forschern, Philosophen und Politologen zu kennen und mich damit auseinanderzusetzen. Ich bin auch nicht mehr ganz so jung, ich habe über die Jahre einiges gelesen. Anthony Giddens war in den 90ern populär. Er ist der Mann hinter New Labour. Piketty ist aktueller. All diese Leute entsprachen irgendwann dem Zeitgeist, und wenn man sich für Politik interessiert, dann kennt man die.

Tageblatt: Ihr Vater war bereits Politiker. Hat das Ihnen eher geholfen oder Sie behindert? Wie hat Sie das beeinflusst?

Franz Fayot: Ich bin damit groß geworden. Ich habe als Kind an politischen Kampagnen teilgenommen und Wahlabende erlebt. Ich habe mitgekämpft und Flugblätter in Briefkästen geworfen. Das prägt einen. Wenn man in einem solchen Umfeld groß wird, dann stößt es einen entweder für immer ab oder man bekommt Lust, auch Politik zu machen. Wie man sieht, habe ich dadurch Lust auf Politik bekommen. Auf diese Art setzt man sich bereits früh mit politischen Ideen auseinander. Auf der anderen Seite wird man so schnell als "fils de" in eine Schublade gesteckt. Das ist nie etwas Schönes und man muss versuchen, daraus auszubrechen. Es ist ein Erbe mit zwei Seiten.

Tageblatt: Welche Dossiers wollen Sie nun prioritär angehen?

Franz Fayot: Die werden erst mal durch die Aktualität bestimmt. Dazu zählen Google, 5G, Postbüros sowie einige industrielle Dossiers. Auch das Dossier "Fage" (Red.: die umstrittene Joghurtfabrik) muss weiter beobachtet werden. Hinzu kommen einige Gesetzesprojekte. Wichtig ist beispielsweise das zu Unternehmensinsolvenzen, da war ich im Parlament bereits Berichterstatter. Ich muss mir jetzt schnell einen Arbeitsplan für die kommenden Monate und Jahre geben. Das Ziel lautet: eine nachhaltigere Wirtschaft.

Tageblatt: In der Weltraumbranche wird Ihr Vorgänger mit "Etienne" und mit "du" angeredet. Werden Sie künftig die gleiche Nähe zu diesen Unternehmen haben?

Franz Fayot: Ja, ich hoffe schon. Der ganze Bereich "New Space" ist schon interessant. Er lädt zum Träumen ein und hat gleichzeitig viel Potenzial für hier unten, etwa in der Landwirtschaft oder der Umwelt. Es gibt sehr viel, das über den "Abbau von Rohstoffen im Weltall" hinausgeht. Ich will die Luxemburger Weltraumagentur weiter ausbauen. Es wäre blöd, so eine erfolgreiche Initiative nicht weiterzuführen.

Tageblatt: Sie sind gleichzeitig Wirtschaftsminister und Minister für Entwicklungszusammenarbeit. Wird es da ein Zusammenspiel geben? Passt das zusammen?

Franz Fayot: Sie meinen das Zusammenspiel zwischen Entwicklungshilfe und eigenen nationalen wirtschaftlichen Interessen. Das Risiko schätze ich als nicht hoch ein, der Bereich läuft gut und ist gut etabliert. Im Gegenteil: Ich glaube, dass das Wirtschaftsministerium neue Befindlichkeiten und Werte vom Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit lernen kann. Beispielsweise wenn man sich die Frage stellt, welche Betriebe Luxemburg für seine Entwicklung anziehen will.

Tageblatt: Manche Luxemburger Unternehmen exportieren militärische Dienstleistungen. Wie stehen Sie dazu?

Franz Fayot: (zögert) Wir haben ja selber eine Armee. Schlussendlich muss man sich die Weltregion anschauen, aus der der Kunde kommt. Da gibt es ein Regelwerk. Zudem kontrollieren das Außen- und das Wirtschaftsministerium, dass kein Waffenschmuggel über das Land läuft ... Es ist aber wohl nie zu 100 Prozent perfekt.

Tageblatt: Im Internet ist Ihr persönlicher Blog nicht mehr erreichbar. Hat das etwas damit zu tun, dass Sie nun Minister sind?

Franz Fayot: Ja, das hat damit zu tun. Als Minister kommuniziert man anders. Wer in der Regierung ist, der sollte seine eigene politische Meinung nicht in der gleichen Form kundtun. Das muss man der Funktion anpassen. Jetzt kommuniziere ich zumeist über die Webseiten und die Social-Media-Plattformen des Ministeriums.

Tageblatt: Wie weit sind Sie, als bekennender linker Politiker, bereit, den Unternehmen beim Wunsch nach Steuersenkungen entgegenzukommen?

Franz Fayot: Das ist eine klassische Forderung der Unternehmen. Gleich zu Beginn der Dreierkoalition wurden die Sätze bereits gesenkt. Ich glaube, wir haben ein wettbewerbsfähiges Umfeld. Wir liegen im europäischen Mittelfeld. Gleichzeitig haben wir weitere gute Argumente für den Standort, etwa die politische Stabilität, gute Gesetze, eine attraktive Lage in der Mitte Europas, eine unternehmensfreundliche Verwaltung. Demnach sind wir bereits gut aufgestellt. Steuergeschenke sind unnötig.

Tageblatt: Manche Kritiker sagen, dass Sie keine "linke Wirtschaftspolitik" machen werden. Sie könnten sich ja jeweils hinter dem Koalitionsabkommen verstecken ...

Franz Fayot
: Die haben nicht ganz unrecht. Wir haben ein Koalitionsabkommen, und das kann ich nicht neu verhandeln. Unsere Handschrift als LSAP ist wohl da, aber selbstverständlich war das Ergebnis ein Kompromiss. Das kann ich nicht ignorieren. Jedoch sieht der Koalitionsvertrag eine "nachhaltige Wirtschaft" vor. Das beinhaltet für mich auch eine soziale Komponente. Und die muss man politisch mit Leben füllen. Dann kann man sehr wohl eine sozialistische Wirtschaftspolitik machen.

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