Interview mit Franz Fayot in der Revue

"Verantwortung statt Dogmatismus"

Interview: Revue (Stefan Kunzmann)

Revue: Knapp zwei Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine stellten Sie Maßnahmen im Zuge des "Solidaritéitspak" vor, die den Betrieben helfen sollen, die Preisexplosion bei den Energiekosten abzufedern. Wie kamen diese an?

Franz Fayot: Diese Maßnahmen und die Gesetze auf denen sie beruhen, wurden im Juli von der Abgeordnetenkammer verabschiedet. Bezüglich der Beihilferegelung für Unternehmen, die besonders stark vom Anstieg der Energiepreise betroffen sind, gingen mittlerweile bei uns im Wirtschaftsministerium 109 Anfragen ein. Etwa 90 Prozent davon betreffen das Abfedern der Mehrkosten für Erdgas und Strom, der Rest zum Kompensieren der Mehrkosten für Diesel der Unternehmen aus den Sektoren des Straßengüterverkehrs, des Bauwesens und des Lebensmittelhandwerks. Diese Unterstützungsmaßnahmen haben jetzt erst angefangen und werden sicherlich noch viel mehr in Anspruch genommen werden. Der Anstieg der Energiepreise werden viele Unternehmen besonders Anfang des nächsten Jahres spüren, insbesondere wenn die bestehenden Verträge mit den Zulieferern mit den noch viel günstigeren Stromtarifen auslaufen. Diese Hilfsmaßnahme funktioniert, ist aber sicherlich noch ausbaufähig.

Revue: Mit Hilfe der Kurzarbeit sind viele Betriebe durch die Pandemie gekommen. Nun soll sie auch im Falle eines Gasspar-Dekrets vielen über die Runden helfen. Wird Kurzarbeit zu einem Allheilmittel?

Franz Fayot: Das Instrument der Kurzarbeit ist nicht dazu da, um den Betrieben zu erlauben, ihre Produktion einfach so wegen der hohen Energieprise einzustellen. Das wäre das falsche Signal. Sie soll im Notfall dienen, für Unternehmen deren Geschäftstätigkeit durch eine von der Regierung verhängte Einschränkung ihres Energieverbrauchs beeinträchtigt wird. Die Kurzarbeit stellt in dem Fall eine Art Sicherheitsnetz dar und soll auch in dem Fall dazu beitragen Arbeitsplätze zu erhalten und somit den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.

Revue: Sie sprachen von einer veränderten Globalisierung. Inwiefern kann ein kleines Land wie Luxemburg autonomer und resilienter werden?

Franz Fayot: Wir befinden uns hier ganz im europäischen Kontext und machen keinen Alleingang außerhalb der europäischen Politik. Allerdings können wir auch nicht ignorieren, dass China und Russland sich immer wieder gegenseitige Unterstützung zusichern und somit eine Art strategische Allianz bilden, die losgelöst ist vom Westen. Wir sind weiterhin offen für Diplomatie. Wir glauben, dass wir mit jedem sprechen müssen. Als kleines, offenes Land hängen wir zudem stark von einem funktionierenden, europäischen Binnenmarkt ab. Dieser muss noch besser funktionieren, und zwar mit weniger Restriktionen. In dieser Hinsicht gibt es noch einiges zu tun. Natürlich müssen wir uns gegenüber Ländern wie Russland positionieren. Die beispiellosen Sanktionen als Reaktion auf die Invasion der Ukraine blieben nicht ohne Folgen. Auch China hat sich durch seine Null-Covid-Strategie zusehends vom Rest der Welt isoliert. Es gibt eine neue, globale geopolitische Situation, die es erfordert, sich neu zu positionieren. In diesem Kontext muss Europa die Karte von einer verstärkten wirtschaftlichen Autonomie spielen, aber nicht in dem Sinne, dass wir uns vom Rest der Welt abschotten. Wir müssen unsere Wertschöpfungsketten neu organisieren, um weniger abhängig von bestimmten Regionen zu sein. Die Welt ist komplizierter geworden. Deshalb brauchen wir mehr Resilienz. In diesem Zusammenhang ist auch das "Friend-Shoring" zu sehen. Das bedeutet, dass nur noch Handel mit Ländern betrieben wird und Partnerschaften mit Ländern eingegangen werden, die ähnliche Werte teilen und die verlässlich sind.

Revue: Dies war nicht immer so. Gerade Luxemburg sah sich als "Gateway to Europe", als Tor nach Europa etwa für Unternehmen aus China und arabischen Ländern.

Franz Fayot: Die Idee, dass Luxemburg für viele Unternehmen aus Drittstatten ein ideales Eingangstor für Europa darstellt ist nach wie vor gültig. Aber wir werden wohl kaum noch Anstrengungen unternehmen, um russische Unternehmen nach Luxemburg zu locken. In dieser Hinsicht spielt die neue Strategie schon eine Rolle. Wir haben aber nach wie vor ein weltweites Netzwerk von "trade and Investment offices" in Asien, Amerika oder Marokko, das ich demnächst besuche. Luxemburg soll weiter ein interessanter Investitionsstandort für nichteuropäische Unternehmen sein. Diese Idee werden wir weiterhin erfolgreich promovieren. Die neue Zeit erfordert aber, die Außenhandelspolitik neu zu beurteilen und zu prüfen, ob sie noch angemessen ist. Die Wirtschaftsförderung geht ja immer in zwei Richtungen: zum einen die Unterstützung für luxemburgische Unternehmen um auf ausländischen Märkten Fuß zu fassen, und zum anderen die Ansiedlung ausländischer Unternehmen und Investoren in Luxemburg.

Revue: Wäre es demnach heute nicht mehr möglich, dass eine chinesische Investmentfirma 90 Prozent der Anteile der BIL übernimmt?

Franz Fayot: Das wäre heute aus zwei Gründen zumindest schwieriger. Erstens weil durch die weniger dynamische Wirtschaft in China die Kauflust von Investoren aus der Volksrepublik für Unternehmen in Europa abgenommen hat und sich solche Investoren sogar aus EU-Firmen zurückziehen. Zweitens besteht ein wachsendes Misstrauen in Europa für solche Investitionen. In Europa hat man erkannt, dass man sich in dieser Hinsicht mehr bedeckt halten muss.

Revue: Lange Zeit setzte die Wirtschaft ganz auf die Globalisierung. Ist dies nun vorbei? Sie sprachen schon von einem "Ende der Naivität".

Franz Fayot: Der Krieg in der Ukraine stellt eine Zäsur dar. Das zeigt, dass der Glaube der Europäer, ewig billiges Gas aus Russland zu bekommen, ein Irrglaube war. Die Tatsache, dass die Russen Gas als Kriegswaffe einsetzen, bedeutete einen Bruch. Und die Idee vom Wandel durch Handel" hat sich als Mythos erwiesen. Mit Handel kommt man bei Autokratien keinen Millimeter weiter. Das alles führt zu einer anderen Idee von Globalisierung, bei der man sich mehr absichert und zuverlässigere Partnerschaften eingeht. Man sollte aber auch nicht blauäugig sein und glauben, dass man es dann nur noch mit lupenreinen Demokratien zu tun hat.

Revue: Auch innerhalb von Europa sind Autokraten und Parteien mit entsprechender Ausrichtung auf dem Vormarsch.

Franz Fayot: Ja, wenn man nur die jüngsten Erfolge der Neonazis in Schweden betrachtet. Auch das Erstarken der Postfaschisten in Italien ist beunruhigend, ebenso die Nationalisten und Identitären in unseren Nachbarländern, die eine protektionistische Politik vertreten. Das droht sich mit der Krise noch auszuweiten.

Revue: Wir haben viel über äußere Einflüsse auf die luxemburgische Wirtschaft gesprochen. Wie sieht es mit den inneren strukturellen Problemen aus? Da wäre etwa der eklatante Fachkräftemangel.

Franz Fayot: Was wiederum nicht nur ein luxemburgisches Problem ist, sondern ein globales Phänomen. Ich war vor Kurzem in Kanada. Auch dort fehlt es an Fachkräften, sei es im Tech-Bereich und der Digitalisierung, oder in den Restaurants.

Revue: Doch wie ist das Problem zu lösen?

Franz Fayot: Die Rezepte sind bekannt. Das fängt mit der Bildung an, mit der Berufsausbildung, mit einer verstärkten Sensibilisierung in die Richtung von Berufen, in denen mehr Leute gesucht werden als in anderen. Das kann in der Digitalisierung sein, in der Metall- und Elektro-Industrie oder im Handwerk, aber auch im Hotel- und Gaststättengewerbe. Im Kontext der Pandemie ist eine ganze Reihe von Berufstätigen vom Arbeitsmarkt verschwunden. Hier ist eine Neuorganisation des Arbeitsmarktes vonnöten.

Revue: Kommen wir zu dem Index. Die eine Seite hält die Anwendung des Indexes für zu wenig differenziert, die andere will partout so an ihm festhalten nach dem Motto "Finger weg vom Index". Zwei unvereinbare Positionen?

Franz Fayot: Das muss sich zeigen, ob das wirklich so unvereinbar ist. Das sehen wir ab kommendem Sonntag (Redaktionsschluss war Montag 19. September; Anm. d. Red.). Wir sind in einer außergewöhnlichen Zeit und haben eine Inflation, wie wir sie seit den 80er Jahren nicht mehr hatten. Im mittleren Szenario für nächstes Jahr wären es laut STATEC ebenfalls 6,6 Prozent. In solch einem Kontext ist der Index nicht einfach. Das würde bedeuten, dass wir in dem Zeitraum 2023/2024 einen Anstieg der Gehälter durch die maximal zu erfallenden Tranchen von 12,5 Prozent hätten. Im höchsten Szenario wären es sogar 15 Prozent. Und das zu einem Zeitpunkt, der sowieso schon schwieriger ist wegen der Energiekostenexplosion, dem Rohstoffmangel und den Lieferkettenproblemen. Wir brachten es schon mehrmals fertig, den Index zu modulieren. Das ist aber kein Grund, ihn in Frage zu stellen. Luxemburgs Indexsystem hat uns schon oft Vorteile gebracht und ist ein fester Bestandteil unseres Sozialmodells und ein Garant für den sozialen Frieden. Die Diskussion ist vielschichtig und nuanciert, auch wegen unserem Steuersystem. Es ist aber auch so, dass der Index hauptsächlich den höheren Einkommen zugutekommt. In einem Kontext von Energiepreisexplosionen bringt er den geringeren Einkommen relativ wenig. In diesem Bereich ist er nicht das einzige Mittel zur Lösung der Probleme, um etwa den Kaufkraftverlust auszugleichen. Um den Haushalten in der Krise entgegenzukommen, braucht man weitere Mittel und Instrumente.

Revue: Sitzen Sie als LSAP-Wirtschaftsminister nicht zwischen den Stühlen? Auf der einen Seite müssen sie als Minister die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe fördern, auf der anderen müssen sie als sozialistischer Politiker die Klientel der Arbeitnehmer vertreten.

Franz Fayot: Ja, das ist richtig, dass es nicht die allerkomfortabelste Position ist. Man muss aber verantwortungsvoll handeln. Auf der einen Seite muss ich in einer ganz schweren Phase für unsere Wirtschaft die Unternehmen in den jeweiligen Wirtschaftsbereichen mit Hilfestellungen und Unterstützungsmaßnahmen stabilisieren. Zudem sind einzelne Branchen und Wirtschaftsbereiche weniger stark betroffen als andere: der Finanzsektor ist natürlich anders betroffen als zum Beispiel das Handwerk. Auf der anderen Seite setze ich mich für die einfachen Menschen ein und vertrete deren Interessen. Der springende Punkt ist der, dass man vernünftig und verantwortlich handelt statt dogmatisch und klientilistisch. Es gilt das richtige Gleichgewicht zu finden, um die Zukunft des Landes in dieser schwierigen Phase gemeinsam zu gestalten. Wichtig für den sozialen Frieden ist, eine Einigung zu finden.

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